Kurzgeschichten

Die Zaubernuss



Ein Märchen oder doch wahr ...

(von Milada Böhm)


Noch vor tausend Jahren erzählten sich die Menschen, daß in den Wäldern des Schönbuchs ein Baum Walnussbaum. Kein Gewöhnlicher, denn immer wenn ein Menschenkind vorbeigehen wollte, strahlte dieser mit seiner ganzen Freude, bewegte seine Zweige und ließ seine Blätter im Wind sprechen. Manch einer blieb stehen stand. Genauer gesagt: ein oder setzte sich nieder, um ein wenig zu ruhen. Dabei wurde er von der prickelnden Lebendigkeit des Baumes leise und sanft mehr und mehr berührt. Oft begannen diejenigen zu lachen, einfach so, manche weinten, was immer so in ihren Gefühlen, sie besannen sich ihres Lebens. Der Baum bewirkte, daß die Menschen ihren Gefühlen mehr freien Raum gaben.

Die Menschen liebten diesen Ort, diesen Baum, obwohl sie anfangs nicht klar wußten, was in ihnen geschah. Doch eine Veränderung spürte jeder, ein tiefes Wühlen oder ein leises Kribbeln im Bauch, Gedanken über sich und sein Leben, über Familie und Freunde. Jeder kam zu seinem Thema, hier und jetzt. Der Baum kannte die Menschenkinder und Erwachsenen gut, hatte er doch selbst schon viele Themen seines Lebens mit den dazugehörigen Gefühlen durchlebt.

Vielleicht gerade deshalb überlegte sich der Baum ein kleines Geschenk, ein offenes Wort, einen Gedanken, einen Impuls dem Menschen mit auf den weiteren Weg zu geben. Doch wie? Die Menschensprache kannte er nicht, die Baumsprache verstanden nur Wenige, meist Menschenkinder. Da fiel ihm ein, daß er ja Herbst Nüsse trug, ja in diese wollte er etwas Wunderbares hineinlegen. So machte er sich an die Arbeit und sammelte Wörter, Wörter, in die er seine liebevollen Gefühle legte. Und ihm fielen sehr viele ein.

Als er mit seiner Arbeit fertig war und der Herbst ins Land zog, wartete der Baum ganz aufgeregt auf den ersten Besucher. Es kamen Viele an diesem Tag, Alte und Junge, sie kamen mit Gedanken, mit Sorgen, Nöten, mit Fragen in sich, für sich oder andere Menschen. Immer wenn Einer bei ihm stehen blieb, wackelte der Baum mit seinen Zweigen, und eine Zaubernuss flog geradewegs vor die Füße des Menschen.

Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie erstaunt der Finder war, als er beim Weitergehen die Nuss öffnete und Worte der Freude oder des Trostes fand, je nach Thema und Gedanken, die er gerade hatte. Die Rede vom Nussbaum zog seine Kreise und gerne besuchten junge und alte Menschen diesen Baum, mit ihren Gedanken kamen Viele, und mit Hoffnung gingen sie. Als Begleiter eine kleine Walnuss für sich und Andere zum Verschenken.

Noch heute machen sich Viele auf die Suche nach dem Walnussbaum mit seinen Zaubernüssen. Die Suche ist schwer geworden, zu viele Ablenkungen und Reize jagen durch die Welt. Auch die Angst vor dem Knacken der gefundenen Nuss hemmt die Suche.

Doch die, die den Baum finden und erkennen und die Nuss knacken, erhalten wie damals für sich und für andere Menschenkinder und Erwachsene

DIE ZAUBERNUSS


Copyright:  Silke Maisack